1 Zahnpastatube


Ade, Addis!

Dienstag, 23. Juli 2019

Heute ist mein letzter Tag in Addis Abeba, und daher der richtige Zeitpunkt, ein übereiltes(!)Resümee zu ziehen.

Als ich vor guten 2 Wochen noch auf Sansibar war, hab ich einer Freundin via Whatsapp geschrieben, dass ich gerade feststelle, wie „beschwerlich“ das Leben in Addis denn im Gegensatz zu Sanisbar sei. Dort war Strand und Sonne und all das was man sich unter einem Urlaubsparadies so vorstellt, aber erst nachdem ich vom beschwerlichen Leben in Addis geschrieben habe, habe ich selbst darüber nachgedacht, was denn das Leben in Addis tatsächlich „beschwerlich“ macht.

Da sind natürlich die banalen Dinge, der Stromausfall bei fast jedem Regenwetter (und momentan ist Regenzeit), die täglichen staatlichen Stromabschaltungen, weil einfach zuwenig Energie vorhanden ist, das immer wieder ausgeschalten Internet oder dass man hier einfach viele Dinge nicht oder nur sehr schwer bekommt, die für uns alltäglich und selbstverständlich sind.

Was aber für mich das Leben hier immer wieder wirklich „beschwerlich“ gemacht hat, ist die Hilflosigkeit im Umgang mit den Lebensumständen Einheimischer, mit denen man tagtäglich konfrontiert wird.

An Kreuzungen klopfen oft Bettler an die Autoscheibe, nichts ungewöhnliches und wenn man ein paar Birr zur Hand hat, gibt man sie gerne her. Wenn aber dann hinter der ausgestreckten Hand ein Gesicht zum Vorschein kommt, das – vielleicht von einer Mine zerfetzt – beim besten Willen nicht mehr als Gesicht erkennbar ist, so lässt das keinen normalen Menschen kalt. Und solche oder ähnliche Begegnungen hat man hier oft. Ein Drittel der 100 Mio. Äthiopier ist noch immer unterernährt, mir ist fast täglich hier auf dem Weg nach Hause eine blinde, alte Frau begegnet, die sicherlich nicht mehr als 30kg hatte. Es ist auch das Wissen darum, dass es hier nicht wie bei uns ein flächendeckendes Netz an Institutionen gibt, das solche Menschen auffängt und betreut, das das Leben „beschwerlich“ macht. Auch wenn sich viele internationale Organisationen noch so sehr bemühen, hier gibt es viele Menschen, die buchstäblich von der Hand in den Mund leben, wenn ihnen jemand etwas zu essen gibt, können sie weiter leben, falls nicht, dann eben nicht.

Zuhause verwenden wir, wenn wir jemanden aufmuntern wollen, gerne den Spruch: Komm, das Leben geht weiter! Hier ist mir der Spruch einmal in einer erschütternden Situation auf der Straße eingefallen und zwar fast als Bedrohung. Als eine Gruppe Menschen völlig apathisch am Straßenrand im Dreck lag, die außer ein paar Fetzen am Körper einfach gar nichts hatten, habe ich mich gefragt, ob für diese Menschen die Tatsache, dass das Leben eben weiter geht, dass die Atmung nicht einfach aufhört, das Herz nicht einfach stillsteht, ein Glück oder fast schon eine Belastung ist. Komm, das Leben geht weiter!

Und wenn man hier eine Zeit verbringen darf, so ist es dieser Blick auf die Stadt, der einem das Leben „beschwerlich“ erscheinen lässt, auch wenn man selbst in fast westlichem Luxus leben darf. Vielleicht könnte man auch hier so abgehoben leben, dass man von den teilweise erschreckenden Zuständen gar nichts mitbekommt, ich kann es nicht und will es auch gar nicht können. In Europa aber tun wir das gerade sehr erfolgreich, wir müssen nicht einmal auf die Fernbedienung drücken um den Kanal zu wechseln, wenn wir die Bilder von Krieg und Hunger nicht mehr sehen wollen, die erschreckenden Bilder schaffen es teilweise gar nicht mehr bis in unsere Wohnzimmer, die message- control funktioniert so gut, dass über die großen Tragödien oft gar nicht mehr berichtet wird. In Äthiopien gibt es momentan ca. 3 Mio. Binnenflüchtlinge, zumindest 2 mal in den 3 Monaten, die ich hier war, gab es politische Unruhen mit jeweils einigen Toten etc. etc.

So, Schluss für heute, ich merke grade, dass ich unbedingt noch einmal etwas schreiben muss, denn ich habe hier auch eine wunderbare Zeit in einem faszinierenden Land erlebt und darüber will ich auch berichten!